Einleitung
Alle Gebote Gottes sind erfüllt, wenn das, was nicht erfüllt wird verziehen wird.
Dieses Zitat ist von Aurelius Augustinus, ein Philosoph der Spätantike und einer der ältesten Kirchenlehrer.
Das mit dem Verzeihen klingt schon fast ein bisschen pathetisch. Was heißt das eigentlich?
Gerade heute. Plus oder Minus, An oder Aus, Eins oder Null. Das muss alles passen, damit es im Fluss bleibt.
Und so auf dem ersten Blick, da muss man fragt, lieber Hermann, sag mal, was ist denn da eigentlich bei dir passiert?
Hast du dich verrechnet mit deinem Leben? Zu viel, zu wenig, zu schnell, zu langsam, zu leicht, oder zu schwer genommen?
Die Taschen leer, das Blatt ausgereizt?
Aber das Leben hat immer noch die besten Tricks auf Lager. Und Menschen sind damit reichlich ausgestattet worden.
Verzeihen.
Verzeihen ist eine offenbar ein Sonderfall, dem sich alles und jeder neu ordnen muss.
Ich habe so schöne Fotos gesehen. Lachende Gesichter, die sind fast aus dem Papier rausgesprungen, so haben die gestrahlt. Und dabei war das Lager, standen die Zelte zwischen den kommenden Tod und in der Rückschau auf ein Leben, das von verlorenen Kämpfen gezeichnet war.
Und trotzdem dieses Lachen. Der goldene Osterhase, die Küchenuhr, der Dom, die Drillinge, eine Schaukel, das in die Kamera gehaltene Glas Wein, die zugeneigten Köpfe von Frank, Jutta und Lidia, und immer wieder Heinrich, wie er sich freut, über das ganze Gesicht, als würde Ostern und Weihnachten zusammenfallen. Glücklich sieht er aus, auf den Fotos. Und Glück hat er da auch gehabt. Naja, und die anderen, die schauen auch sehr sehr froh auf diesen Fotos, Da ist gerade noch rechtzeitig, etwas wieder gut geworden. Zum Glück.
Hauptteil
1933 Machtergreifung von den Braunen, viele haben sich in dieser Zeit aufputschen lassen, andere sind aus deren Mitte gegangen, wie das hieß. Ein biblische Priesteranweisung, für Zeiten in denen Böse um einen wuchert. Hermanns Eltern gehörten einer evangelischen Freikirche an. Da herrschte Zucht und Ordnung, vor allem die Zucht.
Nun kam Heinrich als jüngster Spross der Familie zur Welt, in eben diesem entscheidungsträchtigen Jahr, dass seine Kindheit in Hunger und Furcht prägte.
So ein Jüngster, der läuft so mit, gerade bei sieben älteren Geschwistern. Da ist man relativ früh gut informiert, was wichtig ist, was Spaß macht, was Verbote sind und wie man sie umgeht.
Nach Krieg und Evakuierung, wieder in Mönchengladbach gelandet.
Zusehen, wie man irgendwie etwas zu Essen bekommt, war eine Familienaufgabe und nicht die eines einzelnen.
Es mangelte an allem. Sicher war die Kleidung, die Hermann von den Geschwistern auftrug schon recht verschlissen, aber gut genug, auf Bäume zu klettern, in Trümmern und alten Bruchbuden nach irgend etwas Brauchbarem zu suchen, Räuber und Gendarm, Hexenkessel spielen, in den Rhein springen und sich mit den Flusskähnen mitziehen zu lassen.
Schule ging dann auch irgendwann wieder richtig los. Der Vater starb früh. Mutter und Großmutter regierten mit protestantischer Strenge.
Erstaunlich, dass aus dem Buben tatsächlich ein Ingenieur für Elektrotechnik wurde. Der Heinrich musste wohl ein gehobenes Maß an Begabung in sich tragen. Strukturen erkennen, sie schaffen, abstraktes Denken, virtuelles Denken.
Aber auch ganz praktisch. Eine Frau kennenlernen, die Anne, sich verlieben, bis über beide Ohren, heiraten, Kinder bekommen erst die Lisa, dann denn Klaus, eine eigene Firma gründen.
Das sah sehr gut aus.
Hermann entwickelte Systeme für Datenfernübertragungen bei Verlagen. Er fand einen Mitstreiter für den Vertrieb und Anne hielt den ganzen Laden zusammen. Und die Familie natürlich.
Aber, das Gesamtpaket hatte einen hohen Preis, und der Teufel steckt bekanntlich im Detail.
Wenig Zeit für die Kinder, der beruflicher Erfolg stand bei Hermann im Vordergrund, bestimmte das komplette Familienleben, soweit es zusammen überhaupt stattfand.
Die Kinder mussten sicher recht früh selbstständig werden und wurden auf Leistung und Erfolg hin erzogen. Na klar, bei den Eltern als Vorbildern.
Aber irgendwann kippte es.
Hermann hat dem Mitgesellschafter einen moralischen Fehltritt mehr als übel genommen, die Sache viel zu hoch aufgehängt und das Zugpferd der Firma aus dem Rennen geworfen.
Klug war das nicht. Die Firma entwickelte sich nicht recht weiter, egal wie viel Anneliese und Heinrich an Arbeitskraft hineinsteckten.
Verkaufen. Verkaufen schien die einzige Rettung. Der Mitstreiter kauft die Firma. Und obwohl die Firma einen beachtlichen Verkaufserlös einbrachte, es war der Anfang vom Ende des Zenits.
Anne warf das Handtuch, nach 27 Jahren alles Zurückstellen, wollte sie endlich mal etwas von ihrem Leben haben.
Für Heinrich ein Schlag ins Kontor.
Und nur unzureichend konnte er Situation mit ein paar hilflosen Versuchen und einer saftigen Trotzreaktion begegnen.
Eine junge Frau, die Tatjana und bald ein neues Kind, die Lucia.
Hermann wollte einfach noch einmal neu starten. Auch mit einer neuen Firma. Und das, wo sich andere in den vorzeitigen Ruhestand verabschieden. Da hat er sich richtig verrechnet
Das Wesen einer Lebenslüge ist, dass man sie als solche nicht erkennt.
Alles was Hermann an Ressourcen auftun konnte wurde verheizt. Alles was irgendwie an Geld und Arbeitskraft verfügbar gemacht werden konnte. Er verrannte sich komplett. Merkte gar nicht, wie sein eigener Sohn sich aufrieb. Wie er alles verlor. Wirklich alles.
Nichts ist so schwer wie der Rückzug aus einer unhaltbaren Position. Ein Zitat vom preußischen General Clausewitz. Und da ist was dran.
Was hat er noch gekämpft der Hermann. Vor allem, wie er mitansehen musste, wie sein ehemaliger Mitstreiter die Firma, die einst ihm gehörte, zu ungeheurer Blüte brachte. Und Hermann, mittlerweile im Casino ein gern gesehener Gast, kam zielsicher auf dem Tiefpunkt seines Lebens an.
Isoliert und abgebrannt.
Die zweite Ehefrau war ihm abhanden gekommen, Lisa und Klaus waren ihm zu Recht böse. Lucia war noch zu klein, sie ging mit ihrer Mutter nach Bulgarien.
Sicherlich hätte Hermann ganz einfach einen Schnitt machen können. Sozialhilfe, hinter mir die Sintflut und sich im täglichen Selbstmitleid ergießen.
Und genauso sicher fiel es ihm sicher schwer, nach dieser Niederlage wieder aufzustehen, sich wieder auf den Patt zu machen, die Verantwortung, die er zum Teil hat richtig sausen lassen, wieder aufzunehmen.
Kleine Brötchen backen.
Er fand eine Anstellung, lebte sehr bescheiden, steckte alles in die Schulausbildung von Lucia.
Hermann arbeitet bis weit in die 70er Lebensjahr hinein. Er sah noch fit aus. So richtig bekamen das nur ganz wenige mit, wie alt der Mann tatsächlich war, aber es wird ihn schon angestrengt haben, nicht aus der Rolle zu kippen, ohne Frage.
Schwierig wurde, als er merkte, dass die geistigen Kräfte nachließen und auch hierfür zeigte er sich verantwortungsvoll und gab schweren Herzens seine berufliche Tätigkeit bei der Flugzeugwartung auf.
Und jetzt? So ganz allein? Eine beginnende Demenz.
Das sah gar nicht gut aus.
Clara drückte Klaus sein Herz in die Hand. Klaus sprang über seinen Schatten und holte seinen Vater nach Dortmund. Clara hat noch die Wohnung organisiert.
Hermann bekam auch eine Betreuung. Der Herr Rußfeld kam zu ihm, als Besuch und Hilfe. Die beiden wurden mit der Zeit sogar Freunde.
Hermann entdeckte das Mundharmonikaspiel für sich wieder. Und über die Ausflüge mit den Drillinge, erkannte er, was er versäumt hatte.
„Kümmere dich um deine Kinder“ Hat er immer wieder gesagt.
Und je mehr die Demenz voranschritt, desto mehr konnte Hermann die schlimme Zeit in seinem Leben vergessen.
Er wurde heiter, gerade zu weich. Richtig zugänglich.
Klausk nannte diese Veränderung Glück und Segen.
Das Leben verdichtete sich noch einmal.
Bei Hermann wurde Krebs diagnostiziert, das Ende war absehbar.
Und dann wollten alle noch einmal alles, was drin saß.
Gespräche, Offenheit, Ehrlichkeit, Austausch, Nähe, Qualität.
Eine wunderbare Zeit, das zeigen die wunderbaren Fotos.
Ohne dem Verzeihen wäre das alles nicht möglich gewesen.
Hermann wäre irgendwie versackt. Lisa und Klaus wären den bitteren Nachgeschmack nie mehr losgeworden. Aber so ist alles wieder gut geworden..
Und Verzeihen ist etwas, das hat ganz viel und ganz eng mit Liebe zu tun. Mit der Liebe zu anderen, aber auch zu sich selbst.
Verzeihen ist nur dort wirksam, wo sich selbst auch verziehen wird.
Alle Gebote Gottes sind erfüllt, wenn das, was nicht erfüllt wird verziehen wird.
Liebe deinen Nächsten wie dich selbst und es ist Gottesliebe.
Seine letzten Monate, Wochen und Tage müssen die schönsten in seinem Leben gewesen sein. Vom Tod schon gezeichnet, aber so einen Glanz in den Augen.
Das letzte Bier mit seinem Freund und dann Ade, geh mit Gott.
Wir benötigen Ihre Zustimmung zum Laden der Übersetzungen
Wir nutzen einen Drittanbieter-Service, um den Inhalt der Website zu übersetzen, der möglicherweise Daten über Ihre Aktivitäten sammelt. Bitte überprüfen Sie die Details in der Datenschutzerklärung und akzeptieren Sie den Dienst, um die Übersetzungen zu sehen.